Schadenersatzrecht


Schneeräumung von Radwegen - Haftung des Wegehalters
Bezirksgericht Innere Stadt Wien, 23.8.2001


Der Wegehalter hat die Verpflichtung, im Winter die Radwege zu räumen. Den Wegehalter trifft die Verpflichtung, dass ein Radweg "ordnungsgemäß und gefahrlos benützt werden kann". Kommt ein Radfahrer zu Sturz, haftet der Wegehalter für sämtliche Schäden. Von dieser Haftung kann sich der Wegehalter nur dann befreien, wenn er Warntafeln am Weg anbringt, dass die Benützung auf eigene Gefahr erfolgt.


Zwischenurteil

Im Namen der Republik


Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien erkennt durch die Richterin N in der Rechtssache der klagenden Partei N vertreten durch Dr. Josef Unterweger, Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei N, vertreten durch N, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 11.980,50 s.A. nach öffentlicher mündlicher Streitverhandlung zu Recht:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 50% des ihr aus dem Unfall vom 5.1.2000 entstandenen Schadens zu bezahlen.
Die Kostenentscheidung wird der Endentscheidung vorbehalten.


Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei begehrte mit der am 21.6.2000 eingelangten Mahnklage den Klagsbetrag und brachte dazu vor, dass sie am 5.1.2000 mit ihrem Fahrrad auf einem nicht geräumten, durch eine dicke unregelmäßige Eisschicht bedeckten Radweg am linken Donaukanalufer in 1200 Wien zwischen Döblingersteg und Heiligenstädter Brücke unterwegs gewesen und auf einer Eisplatte schwer zu Sturz gekommen und dabei verletzt worden sei. Beim gegenständlichen Streckenabschnitt handle es sich um den sogenannten "Donauradweg", der an dieser Stelle normalerweise am gegenüberliegenden Ufer des Donaukanais geführt werde. Aufgrund einer Baustelle habe aber eine offizielle Umleitung bestanden. An keiner Stelle sei im Zuge der Umleitung des Radweges auf dessen Nichträumung hingewiesen worden.

Die klagende Partei begehrte im Hinblick auf ein allfälliges Mitverschulden lediglich 50% des Schmerzengeldbetrages von S 20.000,--, sowie des Sachschadens von S 3.961,--. Zur Höhe des Schmerzengeldanspruches führte sie aus, dass die klagende Partei einen Tag starke Schmerzen unmittelbar nach dem Unfall, im Anschluss 7 Tage mittelstarke Schmerzen, sowie gerafft vom Unfallszeitpunkt bis März 3 Tage leichte Schmerzen gehabt habe, da die Wunde auf der Seite immer wieder aufgegangen sei.

In der Tagsatzung vom 28.11.2000 brachte die klagende Partei ergänzend vor, dass die beklagte Partei, die für den ordnungsgemäßen Zustand des konkreten Radweges verantwortlich sei, durch die völlige Vernachlässigung der sie treffenden Räumungs- und Streupflicht den Unfall grobfahrlässig verschuldet habe. Die ordnungsgemäße Räumung und Streuung wäre ihr als Wegehalter zumutbar gewesen. Durch Unterlassung der Räum- und Streutätigkeit habe sie gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren zur Gänze, beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und brachte dazu vor, dass es sich bei der Unfallsörtlichkeit nicht um einen Radweg, sondern um eine von der MA 42 (Stadtgartenamt) sommerlich betreute Fläche handle, deren Winterbetreuung nicht vorgesehen sei. Die winterliche Sperre sei deutlich sichtbar durch Tafeln gekennzeichnet. Der Radweg auf der anderen Seite des Donaukanales sei geräumt gewesen, eine Umleitung des Radweges sei nicht erfolgt. Die klagende Partei, die sich darauf eingelassen hat, die offensichtlich glatte Fläche mit dem Rad zu befahren, habe das alleinige Verschulden selbst zu vertreten. Ein allfälliges Mitverschulden der beklagten Partei träte gegenüber der grobunvorsichtigen, geradezu leichtsinnigen Fahrweise der klagenden Partei in den Hintergrund.

Das Gericht hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in die Rechnung vom 3.2.2000 (Beil./A), in die Krankengeschichte vom 14.1.2000 (Beil./B), in ein Konvolut an Fotos betr. die Unfallsörtlichkeit (Beil./C1 bis C7), in ein Foto, zeigend das Umleitungsschild (Beil./D), in ein Verletzungsfoto des Klägers (Beil./E), in ein Konvolut, bestehend aus einer Anfrage an die MA 46 samt Antwortschreiben (Beil./D), in sechs weitere Lichtbilder der Unfallsörtlichkeit (Beil./1 bis 6), in einen Auszug aus dem Stadtplan (Beil./7), in drei Lichtbilder betr. die Beschilderung des Radweges (Beil./I bis III), durch Vernehmung der Zeugen L., M., Mag.B., H., S. und P., sowie durch Einvernahme des Klägers als Partei.

Folgender Sachverhalt steht fest:

Der in Klosterneuburg wohnhafte Kläger benützt täglich für seine Fahrt mit dem Rad zu seiner Arbeitsstelle bei der Friedensbrücke den Donauradweg, der am rechten Donauufer und anschließend am rechten Ufer des Donaukanales bis ins Stadtzentrum Wiens geführt wird. Bedingt durch eine Baustelle war dieser Donauradweg ab etwa Oktober 1998 bis ca. Mitte des Jahres 2000 zwischen der Löwenbrücke (Schemerlbrücke) und der Friedensbrücke gesperrt und wurde stattdessen über die Brigittenauer Lände am linken Ufer des Donaukanales über einen Treppelweg geführt. Die Umleitung war in beiden Fahrtrichtungen durch Hinweistafeln gekennzeichnet und der Radweg im gesamten Verlauf der Umleitung mehrfach beschildert. Im Zuge des Radweges waren keine Schilder angebracht, die darauf hingewiesen hätten, dass der Weg, auf den der Radweg umgeleitet wurde, bei Schneelage nicht gesäubert und bei Glatteis nicht bestreut wird und die Benützung auf eigene Gefahr erfolgt.

Der Kläger rüstete, nachdem er festgestellt hatte, dass der umgeleitete Radweg nicht geräumt wird, sein Fahrrad mit Stollenreifen mit Spikes aus und versuchte, durch mehrfache Urgenz bei der MA 42 die Räumung des Weges zu erreichen, was ihm jedoch nicht gelang.

Am Morgen des 5.1.2000 konnte der Kläger den Donauradweg von Klosterneuburg nach Wien problemlos benützen. Am Abend gegen 19.00 Uhr kam er jedoch auf dem Heimweg im Umleitungsbereich auf einer Eisplatte, die sich im Lauf des Tages gebildet hatte, unter der Heiligenstädter Brücke schwer zu Sturz und zog sich dabei Verletzungen, insbes. im Bereich der linken Hüfte zu. Sein Fahrrad wurde beschädigt.

Zu diesen Feststellungen gelangte das Gericht aufgrund der vorliegenden unbedenklichen Urkunden, sowie der Aussagen der vernommenen Zeugen und des Klägers.

Der Kläger stellte den Sachverhalt glaubwürdig und schlüssig dar und konnte das Gericht sowohl von der behaupteten Umleitung des Donauradweges auf das andere Donau- bzw. Donaukanalufer als auch davon überzeugen, dass zum Unfallszeitpunkt für Benützer des Radweges erkennbar keine Hinweisschilder über eine Nichtbetreuung des Weges im Winter angebracht waren.

Seine Angaben werden einerseits durch das Foto Beil./D, das die UmleitungstafeIn zeigt, im Zusammenhalt mit der Auskunft der MA 46 vom 21.2.2001 und andererseits durch die Aussagen der Zeugen Mag.B., H., S. und P., die alle einen äußerst guten und wahrheitsbemühten Eindruck hinterließen, bestätigt. Alle Zeugen, die ebenfalls den gegenständlichen Radweg benützten, erklärten mit Bestimmtheit, dass im fraglichen Zeitraum (Jänner 2000) im Zuge der Umleitungsstrecke, die in beiden Richtungen zu befahren war, keine Tafeln mit dem Hinweis, dass nicht geräumt wird, vorhanden waren.

Die beklagte Partei konnte die Behauptungen des Klägers durch nichts widerlegen. Den Zeugen L. und M., beide bei der MA 42 beschäftigt, war die Umleitung des Donauradweges nicht bekannt, weil dieser nicht in ihren Aufgabenbereich fällt. Der Zeuge M. gab zwar an, dass es in dem in seine Zuständigkeit fallenden Bereich Tafeln betreffend die Benützung auf eigene Gefahr bei jedem Zugang zum Treppelweg gebe, konnte dies aber konkret für den Unfallszeitpunkt nicht aussagen.

Es war sohin unter Würdigung sämtlicher Beweisergebnisse obiger Sachverhalt festzustellen.

Rechtlich wird ausgeführt:

Nach § 1319a ABGB haftet, wenn durch den mangelhaften Zustand eines Weges ein Mensch verletzt oder eine Sache beschädigt wird, derjenige für den Ersatz des Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als HaIter verantwortlich ist, sofern er oder einer seine Leute den Mangel vorsätzlich oder grobfahrlässig verschuldet hat. Diese Bestimmung erfaßt nicht nur die Straßenerhaltungs-, sondern auch die Straßenwartungspflicht, wie z.B. die Schneeräumung oder Streupflicht bei Glatteis.

Die Haltereigenschaft für die Umleitungsstrecke wurde von der beklagten Partei nicht bestritten. Sie hatte daher, da sie aufgrund von Bauarbeiten den Radweg auf diese Strecke umleitete, auch dafür zu sorgen, dass diese ordnungsgemäß und gefahrlos benützt werden kann.

Da es der beklagten Partei nicht gelungen ist, den Beweis dafür zu erbringen, dass durch die Anbringung von Warntafeln Benützer des Radweges darauf hingewiesen wurden, dass die Benützung nur auf eigene Gefahr erfolgt, ist sie von ihrer Haftung, die sich aus der Unterlassung der Winterbetreuung ergibt, nicht befreit. Die beklagte Partei haftet als juristische Person sohin für die grobe Fahrlässigkeit ihrer Mitarbeiter, weil offensichtlich ihre Organisation unzureichend war, um auch für den umgeleiteten Radweg einen entsprechenden Schneeräum- und Streudienst sicherzustellen.

Ein auch nur geringes Mitverschulden des Klägers an diesem Unfall konnte nicht erblickt werden. Der Kläger war sich der Gefährlichkeit des Befahrens des ungeräumten Radweges sehr wohl bewußt. So stattete er einerseits sein Fahrrad mit einer Winterausrüstung aus und versuchte andererseits, bei der zuständigen Magistratsabteilung eine Veranlassung der Räumung zu erreichen. Dass er obwohl seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt waren, den Radweg weiterhin benützte, ist ihm nicht als Verschulden anzulasten. Auch die Benützung der Strecke am Unfallstag war nicht fahrlässig, da diese, wie festzustellen war, bei der Hinfahrt am Morgen problemlos zu befahren war und es erst am Abend (bei Dunkelheit) bei der Rückfahrt zum Unfall kam, als der Kläger auf eine Eisplatte, die sich unter einer Brücke gebildet hatte, geriet.

Da der Kläger aus anwaltlicher Vorsicht im Hinblick auf ein allfälliges Mitverschulden lediglich 50% seines Schadens geltend gemacht hat, war zum Grund des Anspruches spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung war gemäß § 52/2 ZPO der Endentscheidung vorzubehalten.


Bezirksgericht Innere Stadt Wien
1011 Wien, Riemergasse 7

23.8.2001

Anwaltskanzlei Unterweger, Buchfeldgasse 19a, A-1080 Wien, www.unterweger.co.at